Gibt es wissenschaftlichen Belege für die Schmerzhaftigkeit der Enthornung?
Ja. Professorin Claudia Spadavecchia von der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Bern (Vetsuisse) hat das 2016 zusammen mit Daniela Casoni untersucht. Sie kamen zum Schluss, dass über 20% der enthornten Kälber mehr als 3 Monate Langzeitschmerzen erleiden. Auch die Kurzzeitschmerzen werden deutlich dargestellt.
In der Ostschweiz am Sonntag vom 19. August 2018 erschien ein ausführlicher Artikel darüber. Sie finden ihn auf unserer Website hier.
Wieso greift der Gesetzgeber aufgrund dieser Erkenntnisse nicht ein?
Diese Frage stellen wir uns auch. Bitte wenden Sie sich dafür ans Bundesamt für Landwirtschaft.
Wieso dürfen Kühe und Ziegen (bzw. Nutztiere) weiterhin enthornt werden, obwohl gleichartige Eingriffe bei Haustieren seit 2008 durch das Tierschutzrecht untersagt sind?
Heimtiere betrachten wir gesellschaftlich anders als Nutztiere. Heimtiere sind unsere Freunde. Die Nutztiere hingegen werden als Produktionsmittel betrachtet. Sie erhalten geringere Aufmerksamkeit, haben ethisch und juristisch betrachtet weniger Wert und Würde. Deshalb sind bei den Nutztieren mehr Eingriffe erlaubt.
Einfach gesagt: Die Unterschiede bestehen, weil bei den Nutztieren viel weniger achtsam auf ihre Haltung geachtet wird als bei Heimtieren.
Wieso enthält die Initiative kein Verbot der Enthornung? Dann wäre das ganze Thema doch sehr viel eleganter erledigt?
Das würde nicht viel Sinn machen, denn so würden sich viele gegen die Initiative einsetzen. Es gäbe sicher eine Gegenkampagne, die es jetzt vielleicht nicht gibt. Die Chance, dass das Anliegen angenommen wird, wäre geringer.
Es gibt Landwirtschaftsbetriebe, die es sehr schwer haben mit horntragenden Tieren, weil ihre Ställe und/oder ihr Umgang mit den Tieren ungenügend sind. Es gäbe in solchen Betrieben mehr Verletzungen der Tiere, wenn sie nicht mehr enthornen dürften. Leider braucht es mehr Zeit, bis das auf allen Betrieben möglich ist. Das kann man und soll man nicht erzwingen, sondern fördern.
Sind Hörner, gerade im Umgang mit Jungvieh (Mesen & Rindern), nicht schlicht zu gefährlich?
Nein, man kann diesen Umgang gut lernen, das ist nicht so schwierig. Früher konnten das alle, die mit Rindern zu tun hatten. Auch heute können es alle, die horntragende Tiere halten. Es könnte Sinn machen, Kurse zu organisieren für Tierhalterinnen und Tierhalter, die von enthornten auf behornte Tiere umstellen wollen. In rund einem Tag wäre das Wichtigste gut lernbar.
Doch die Verletzungsgefahr wird grösser.
Hörner beinhalten ein Verletzungsrisiko, das stimmt. Wie vieles andere auch in der Landwirtschaft. Doch mit richtiger Stallplanung und gutem, intensiven Tierbezug kann das minimiert werden.
Ganz wichtig: Die Tierhalterinnen und Tierhalter etnscheiden auch bei Annahme der Initiative weiterhin selbst, ob sie Tiere mit oder ohne Hörner halten.
Es geht doch auch ohne Hörner, wie die 90% entthronten bzw. genetisch hornlosen Tiere belegen. Kann die Natur die Funktion des Hornes ersetzen?
Kühe sind nun mal ausserordentlich anpassungsfähige und starke Tiere. Sie können das Fehlende offenbar recht gut ausgleichen. Man sieht z.B. wie sie - sofern als Kalb enthornt - meistens eine andere, höhere, etwas zugespitztere Stirnbeinform ausbilden als horntragende Tiere. Das haben wir (im Institut für Biologischen Landbau) in einem Schlachthof an über 200 Schädeln gemessen und verglichen. Es ist als würden sie an ihrem Stirnbein alles noch Mögliche in die Höhe formen. Aber ist es richtig von den Tieren zu verlangen, dass sie all unsere Manipulationen ausgleichen? Unseres Erachtens nicht.
Schlimme Fehler werden auch im Stallbau gemacht. Tragen die Tiere keine Hörner, so können die Ställe enger gebaut werden, die Liegeboxen und Fressgitter brauchen weniger Platz. Der Bau ist billiger. Doch schaut man den Tieren in diesen engen Ställen zu, erkennt man, dass es auch für die enthornten nicht passt, dass sie nicht artgemäss abliegen, aufstehen und herumgehen können.
Mit horntragenden Tieren geht das gar nicht. Da müssen die Ställe und Stalleinrichtungen grosszügiger sein. So, wie sie sein müssen für das Rind. Mit der Enthornung täuschen wir uns also über diese Stallbaufehler hinweg, weil wir weniger Verletzungen sehen als mit behornten Tieren. Werden wir wieder mehr horntragende Tiere halten, werden wir auch bessere Ställe bauen.