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Das Horn der Kuh: Serie von Peter Jaeggi

Nach rund zwei Monaten Recherchearbeit für verschiedene Medien beginne ich morgen an dieser Stelle mit einer mehrteiligen Serie rund um die Kuhhörner. Jedes Jahr werden in der Schweiz mit einem etwa 600 Grad heissen Thermokauter (Brenneisen) die Hornknospen von etwa 200 000 Kälbern ausgebrannt. In Deutschland sind es etwa 1,4 Millionen. Und noch eine Zahl: Laut dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FIBL in Frick haben vier Fünftel der Kühe in unserem Land keine Hörner mehr. In Deutschland sind es noch mehr.

Sämtliche Bilder und Texte dürfen nicht ohne ausdrückliche Genemigung von Peter Jaeggi veröffentlicht werden!

Das Horn, das spricht (1)

Kuhhörner sind schön – dies die Sicht des Menschen. Aus der Sicht von Rind, Kuh und Stier jedoch ist das Horn weit mehr. So kratzt sich die Kuh damit an Stellen, an die sie sonst nicht hinkommt. Sie kann die Hornspitze auch einer Freundin zur Verfügung stellen. Der Biobauer und Buchautor Martin Ott hat beobachtet, wie befreundete Kühe einander die Hornspitze hinhalten zum Entfernen eingetrockneter Sekrete aus dem Augenwinkel.“ Das würde sie unterlassen, wenn sie nicht wüsste, dass die Freundin sehr bewusst mit ihrem spitzen Horn umgehen kann“, sagt der prominente Biobauer und Kuhexperte und widerspricht damit der landläufigen Meinung, das Kuhhorn sei bloss eine Waffe.

Das Horn, das spricht (2)

Kühe “reden“ mit den Hörnern miteinander. Das geht vom leichten Anstupsen über den unsanften Hornstoss bis hin zu einer Kopfbewegung, ohne die Nachbarin zu berühren. Eine Geste mit dem Horn genügt, um der Rangniedrigen zu sagen: Bleib mir vom Leib!

Der deutsche Agrar-Ingenieur, Kuhforscher und Demeter-Berater Ulrich Mück sagt: „In einer Kuhherde gibt es eine stark ausgeprägte Hierarchie. Der Rang der Tiere spielt im Zusammenleben der Rinder eine sehr grosse Rolle. Dieser Rang wird durch ein Kräftemessen ausgemacht. Dabei werden die stark ausgebildeten, geraden Stirnbeine aneinandergelegt. Die Hörner dienen als Halteorgane. Wer stärker schiebt, gewinnt. Wenn klar ist, wer höher- und wer niederrangig ist, folgen normalerweise keine weiteren körperlichen Auseinandersetzungen.“ Die Herde werde wieder ruhig, sagt Mück.

Ulrich Mück nennt die Leittiere „Königinnen“ und „Majestäten“, denen die „Untertanen“ Respekt entgegenzubringen haben. Weil Kühe schlecht sehen, können sie sich an den Hörnern besser erkennen und individualisieren. Die kleinen Gesten der Kopfbewegungen in der Kuhkommunikation werden durch die Hörner erkennbarer. Dann genügt ein rechtzeitiger kleiner Schritt zur Seite und eine Demutsbezeugung des Kopfes, um einer hochrangigen Herdenkönigin Achtung zu erweisen.“

Hörner verraten auch, wie oft eine Kuh gekalbt hat. Ähnlich einem Jahrring des Baumes hinterlässt jede Geburt eine Art Ring am Horn.

Kühe mit Hörnern sind nicht gefährlicher als die Hornlosen.

Vier Fünftel aller Kühe in der Schweiz haben keine Hörner mehr. In Deutschland und in Österreich ist die Zahl noch höher. Das Hauptargument gegen Hörner sind Unfälle, die zwischen Tieren sowie zwischen Tier und Mensch tatsächlich passieren können. Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die zeigen, dass horntragendes Rindvieh gefährlicher sein könnte als hornloses. Hingegen gibt es eine ganze Reihe von Studien, die beweisen: je sorgsamer, je freundlicher, je besser die Mensch-Tierbeziehung, je angepasster Haltung und Management, desto weniger Auseinandersetzungen und Schäden gibt es. Susanne Waiblinger ist Professorin am Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der veterinärmedizinischen Universität in Wien; sie stützt sich auf eigene Forschungen, wenn sie fordert: “Von Anfang an mit dem Kalb einen positiven Umgang pflegen, streicheln, freundlich sprechen mit den Tieren, nicht anschreien und möglichst nicht stossen.“ So könne eine gute Mensch-Tierbeziehung entstehen, die Herde werde ruhiger und sei leichter zu managen. Zudem empfiehlt sie, nur mit gutmütigen Tieren zu züchten. „Erfolgreiche Landwirte, die behornte Tiere schon sehr lange halten, selektieren meist“, sagt die Wissenschaftlerin.

Aufschlussreich ist auch eine weitere Untersuchung unter der Leitung von Susanne Waiblinger. Dabei ging es um die Einstellung der Bauern zu ihren Kühen. Fazit: Wenn die Landwirte glauben, dass ihre Kühe gut zu handhaben und intelligent sind sowie den Kontakt zum Menschen schätzen, dann war auch die Herde ruhiger. Dazu gehörte auch die Meinung der befragten Landwirte, dass man geduldig mit den Tieren sein soll, regelmässig einen freundlichen Kontakt pflegen soll, dass man streichelnd durch die Herde gehen soll. “Weil die Kühe so eben positive Erfahrungen machen“, sagt Waiblinger. „Und umgekehrt: Je negativer die Einstellung des Landwirtes, umso mehr Furcht haben Kühe vor Menschen und umso unruhiger ist die Herde.“

Hörner im Laufstall: Entscheidend ist das Management

Die neueste Studie zu Hornschäden im Stall wird Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Unter dem Titel „Hörner im Laufstall“ untersuchte ein Team der Universität Kassel drei Jahre lang deutschlandweit 39 Milchkuh-Betriebe auf hornbedingte Tierschäden. In Betrieben, die in dieser Zeit in Laufställen entweder von enthornten auf behornte Herden oder von Anbinde- auf Laufställe mit behornten Tieren umgestellt hatten. Die Agrarwissenschaftlerin Julia Johns hat die Studie begleitet und sagt: “Wir konnten teilweise die Literatur bestätigen und sahen, dass in behornten Herden die Auseinandersetzungen mit Körperkontakt tendenziell eher abnehmen und eher in hornlosen Herden auftreten. Bei diesen können Blutergüsse unter der Haut auftreten, wenn sich die Tiere mit Kopfstössen verletzen.“
Man habe grosse Unterschiede zwischen den Betrieben gesehen, sagt Julia Johns. “So gibt es Bauernhöfe, in denen sämtliche Kühe Hörner tragen. Trotzdem treten keine oder sogar weniger Auseinandersetzungen und hornbedingte Schäden auf als in Ställen mit teilweise enthorntem Tierbestand.“ Um im Stall Konkurrenzsituationen und Engpässe zu minimieren, sei das Zusammenspiel von Haltung und Management zentral. Zum Beispiel genügend Platz beim Fressen, genügend grosse Warteräume vor dem Melkstand und dort vermeiden, dass Tiere zusammenstossen, weil nach vorne kein Weggehen möglich ist. Ein grösserer Laufstall sei zwar gut, aber nicht immer nötig, wie die Studie zeige.
Normalerweise rechne man beim Bau eines Laufstalles für horntragende Tiere mit einer Flächenerweiterung von 25 bis 40 Prozent, sagt Julia Johns. “Dies bedingt Mehrkosten von 10 bis 20%. In Deutschland wäre dies mit einem etwa drei Cents höheren Milchpreis finanzierbar.“

«Kuh-WG» mit Stier – Oder: Anbindestall oder Laufstall?

 «Beide Ställe haben Vor- und Nachteile», sagt Anet Spengler, Agrar-Ingenieurin und Nutztierwissenschaftlerin im Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL) in Frick. Das Entscheidende sei ein gutes Management, ein guter Umgang mit der Herde. Wenn der Bauer sich mit einem Anbindestall an das RAUS-Programm halte, eine Empfehlung des Bundes, dann sei ein Anbindestall ebenfalls ein guter Stall. Das heisst: Im Sommer pro Monat 26 Tage draussen und 13 Tage monatlich im Winter. Dafür gibt es sogar Geld vom Bund.

Biobauer Martin Ott (Foto), Leiter der biodynamischen landwirtschaftlichen Ausbildung in der Schweiz, meint: «Im Anbindestall beobachte ich automatisch besser, weil ich jedes Tier jeden Tag putze, anbinde und quasi umarme.» Ein Teil dieser Mensch-Tier-Beziehung müsse auch im Laufstall spielen.

«Ein gut gebauter und gut geführter Laufstall ist optimal», so Anet Spengler. Ihr Fazit: «Schlecht sind schlechte Anbinde- und schlechte Laufställe. Gut sind gute Anbindeställe und sehr gut sind gute Laufställe.» Ausserdem sei ein grosser und mächtiger Stier in Der Herde sehr wichtig. Einer, der die Herde im Griff habe. «Er wird Aggressionen unterbinden, weil er die als sein Zustandsgebiet betrachtet. Und so bringt er viel Ruhe in die Herde.»

Einer guten Viehhaltung abträglich seien grosse Wechsel in der Herde, weiss Anet Spengler. «Wenn wir heute davon ausgehen, dass eine Kuh nur drei bis vier Laktationen lang in der Herde ist und dann wird sie geschlachtet, wie das bei der durchschnittlichen Schweizer Kuh ist, dann kann sich keine gute Herdenhierarchie bilden.“ Man könne ja auch nicht eine WG aufbauen mit dauernd anderen Leuten. Da komme man nie zur Ruhe und habe keine Verlässlichkeit in den Reaktionen.

Wie BR Schneider-Ammann den Kühen ihre Hörner wegspricht.

Dem abtretenden Bundesrat Johann Schneider-Ammann, der sich an Landwirtschaftsmessen gerne mit einem zappelnden Ferkel in den Armen präsentiert (Hauptsache, es ist für die Menschen lustig), scheint das Wohl der Tiere völlig egal zu sein. Anders kann ich seine Argumente für die hornlose Kuh nicht verstehen.

Seine Verteidigungsrede für die Kuh ohne Hörner ist schwergewichtig humanzentriert. Das Fleisch, das dem Menschen schmecken soll. Der Spaziergänger, der vor Kuhhörnern sicherer sein will. Selbst der Schmerz des Enthornens vergleicht er mit menschlichen Zahnschmerzen. Genau dieses menschzentrierte Tierbild führt zu so viel Tierleid. Nicht nur bei Kühen.

Hätte Schneider-Ammann diese Facebook-Serie gelesen, könnte er auch nicht so abstruse Behauptungen aufstellen wie jene, dass die Kuh ohne Hörner dem Tierwohl diene (!). Der Mann scheint keine Ahnung zu haben von existierenden und auch aktuellen Studien

Langes Leiden nach dem Enthornen

Das Horn im Keim ersticken. Das geschieht allein in der Schweiz jährlich etwa zweihunderttausend Mal beim Enthornen eines Kalbes. Ein etwa 600 Grad heisser Brennstab, ein sogenannter Thermokauter, wird einige Sekunden auf die beiden Hornknospen gedrückt, um das Hornwachstum zu verhindern. Der Eingriff ist nur unter Lokalanästhesie, also nach einer Schmerzausschaltung gestattet. In Deutschland hingegen darf das Kalb bis zur sechsten Lebenswoche ohne jede Betäubung enthornt werden. Vorgeschrieben sind dort nur Schmerz- und Beruhigungsmittel.

Claudia Spadavecchia, Tierärztin und Professorin an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, wollte wissen, wie lange Kälber nach dem Eingriff noch leiden. Sie und ihr Team haben dazu eine aufsehenerregende zweiteilige Studie gemacht.

Claudia Spadavecchia zum ersten Teil, der im März dieses Jahrs publiziert worden ist: “Bei einem Drittel der enthornten Kälber sahen wir nach drei Wochen noch immer eine Überempfindlichkeit.“ Dabei spielte es keine Rolle, ob die Tiere in der ersten oder vierten Woche enthornt wurden. Bisher glaubte man, dass die Schmerzen rund um die ausgebrannten Hornknospen lediglich zwei, drei Tage anhalten würden. Doch jetzt kommt das dicke Ende. Der zweite Teil ist die weltweit erste Langzeitstudie zum Enthornungsschmerz. Danach waren bei einem beträchtlichen Teil der Kälber selbst drei Monate nach der Enthornung noch Überempfindlichkeiten feststellbar. Die Ergebnisse sind jedoch wissenschaftlich noch nicht verfiziert. Falls sie verifiziert wird, ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass das Leiden länger dauert als die untersuchten neunzig Tage. Wie lange, das weiss man nicht.

Wie lange die Schmerzen andauern, interessiert den Bund offenbar nicht.

Der Schweizer Tierschutz STS habe das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) mehrmals um die Fortsetzung der Schmerz-Studie gebeten (siehe Folge 8). Ohne Erfolg, so STS-Geschäftsführer Hans-Ulrich Huber. Er sagt: “Sollte der Schmerz lebenslänglich anhalten, müsste man über ein Enthornungsverbot nachdenken.“

Dass das BLV keine längere Studie finanzierte, könnte politisch motiviert sein, vermutet Hans-Ulrich Huber. “Man will vor der Abstimmung keine Klarheit und hofft wohl, dass die Horn-Initiative an der Urne bachab geht, um dann das Thema zu beerdigen.“ Dazu die knappe Stellungnahem des BLV gegenüber dem Autor dieser Serie: „Der Entscheid ist wissenschaftlich basiert und nicht politisch motiviert.“ Eine ziemlich seltsame und nicht nachvollziehbare Antwort. Im Klartext heisst sie: Das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit interessiert sich offenbar nicht dafür, wie lange die Tiere nach der Enthornung wirklich leiden. Ein Jahr? Zwei Jahre? Dauernd? Wissenschaftlich wäre ja wohl, das herauszufinden.

Bereits 2009 verfasste die unabhängige Schweizer Stiftung „Tier im Recht“ ein juristisches Gutachten zum Enthornen von Rindern. Ein Auszug:

„Das Enthornen bedeutet für die betroffenen Tiere eine ungerechtfertigte Schadenszufügung und einen massiven Eingriff in ihre Würde. Dieser ist derart schwerwiegend, dass er durch die entgegenstehenden Interessen nicht gerechtfertigt werden kann. Sowohl aus ethischen als auch aus tierschutzrechtlichen Überlegungen ist die Enthornung daher unzulässig.“

Trotz Gutachten gibt es aber kein Verbot. Das Schweizer Tierschutzrecht erlaubt das nämlich Enthornen ausdrücklich.

Ziegen enthornen – keine gute Idee

Was für das Rindvieh gilt, ist auch für Ziegen so: Das Horn ist integrierter Bestandteil ihres Lebens. Beispiel Rangkämpfe. Ziegen stellen sich dabei auf die Hinterbeine, lassen sich nach vorne fallen und prallen mit den Köpfen aufeinander. Die Hörner fangen den Aufprall ab. Susanne Waiblinger, Professorin am Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der veterinärmedizinischen Universität in Wien, hat dazu Untersuchungen gemacht. „Bei enthornten, hornlosen Tieren gibt es vor allem im Stirnbereich mehr Verletzungen als bei den behornten.“

Ziegenschädel seien sehr empfindlich. Bei Kitzen sei der Eingriff noch deutlich belastender als bei Kälbern. Denn der Ziegenschädel ist sehr dünn und die Hornknospen sind im Verhältnis zum Kopf sehr gross. „Deshalb ist eine Enthornung bei Ziegen abzulehnen.», sagt Waiblinger. Beim Ausbrennen komme man schnell einmal auf den Knochen bis ins Gehirn hinein. Das könne tödlich enden.

Ziegen enthornen – Qualen beim Enthornen

Der Schweizer Tierschutz STS fordert seit Jahren ein Enthornungsverbot für Ziegen. Auch deshalb, weil die Verhaltensforschung zeige, dass es bei richtiger Haltung zwischen Mensch und Tier kaum Unfälle gebe. Auch Veterinärprofessor Adrian Steiner, Leiter der Nutztierklinik an der Uni Bern, sprach sich der SRF-Sendung NETZ NATUR im Oktober 2015 über Ziegen unmissverständlich gegen das Enthornen der Kitze aus.

Wenn sie einen vorgeschriebenen Enthornungskurs besucht haben, dürfen Schweizer Ziegenhalter selber enthornen Unter der Leitung von Prof. Claudia Spadavecchia warf ein Team der Universität Bern dieses Jahr einen forschenden Blick in die Enthornungspraxis von Ziegenhaltenden. Beobachtet worden sind 174 Ziegenkitze auf 31 verschiedenen Betrieben. Das Resultat ist erschreckend: Beinahe zwei Drittel der Tiere waren nicht angemessen betäubt. Ein Grossteil zeigte Schmerz-Reaktionen.

Hornlose Ziegen werden oft unfruchtbar

Nicht nur Rinder, sondern auch Ziegen werden zunehmend hornlos gezüchtet. Keine gute Idee, findet die Nutztierwissenschaftlerin Anet Spengler vom FIBL, “denn bei Ziegen hängt Hornlosigkeit nämlich sehr oft zusammen mit Unfruchtbarkeit .“ Hornlos wird der Ziegennachwuchs, wenn er die Hornlos-Gene von Vater UND Mutter bekommen, das nennt man homozygot. “Die späteren männlichen Tiere sind meist unfruchtbar, die weiblichen fast immer Zwitter.“ Bei Rindern sei es anders. Sie werden bei der Hornloszüchtung nicht unfruchtbar. Mit einer Ausnahme, sagt Anet Spengler vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau: „Amerikanische Studien zeigen, dass Stiere, die homozygot hornlos gezüchtet werden etwa im vierten Lebensalter einen sogenannten Korkenzieherpenis bekommen. So können die Stiere am Ende nicht mehr befruchten.“ Allerdings spielt dies heute in der rationalisierten Landwirtschaft kaum noch eine Rolle – Kühe werden fast ausschliesslich künstlich mit Samen gedeckt, die man zuvor den Wunsch-Stieren abgenommen hatte. Mit normalem oder mit Korkenzieher-Penis.

Bald keine Hörner mehr?

Immer mehr Milchkühe werden heute enthornt oder genetisch hornlos gezüchtet. “Bei einigen Rinderrassen könnte es schon bald keine horntragenden Kühe mehr geben“, befürchtet Anet Spengler, Forscherin im FIBL, dem Institut für biologischen Landbau in Frick. Laut ihren Berechnungen leben heute in der Schweiz bereits 80 Prozent der Kühe ohne Hörner. In Deutschland sind es noch mehr. Anet Spengler setzt sich auch aus wissenschaftlichen Gründen gegen die Hornlosigkeit ein, „denn wir wissen ja nicht einmal genau, für was alles die Hörner stehen.“ Der deutsche Agrar-Ingenieur Ulrich Mück zieht den Bogen noch weiter: „Kühe mit Hörnern haben auch einen grossen kulturellen Wert. Zudem spielen sie für die genetische Vielfalt der Rinder eine wichtige Rolle. Man züchtet jetzt an einem Wesensmerkmal aller Rinder herum, die zoologisch gesehen Hornträger sind. Mögliche Effekte für die genetische Zukunft sind vollkommen unbekannt.“ Der niederländische Kuhforscher Ton Baars wundert sich deswegen auch, “dass man selbst in der ökologischen Landwirtschaft Kühe genetisch hornlos züchtet.“

Biobauer Martin Ott wünscht sich eine Landwirtschaft, die den Konsumierenden eine bessere Behandlung der Tiere bietet und wir dafür bereit sind, einen besseren Preis zu bezahlen. Martin Ott: «Denn wenn wir allein nur an die Finanzen denken, könnte man den Kühen ja auch ein Bein wegzüchten. Dann hätte ich nur noch an drei Klauen Krankheiten.» Im Nutztierkonzept müsse man stets abwägen zwischen Partnerschaft mit dem Tier und dem Ausnützen des Tieres. “Diese Frage kann man am Beispiel der Hörner exemplarisch diskutieren.»

Ohne Hörner eine schlechtere Fleischqualität?

Dieser Frage ging eine Studie von Agroscope nach, dem Kompetenzzentrum der Schweiz für landwirtschaftliche Forschung. Es gibt eine logische Hypothese dafür: Rinder und Kühe ohne Hörner könnten mehr Stress haben, weil ihnen unter anderem bei Rangkämpfen und beim Dominanzverhalten ein wichtiges Instrument fehlt. Stress beeinflusst biochemische Vorgänge und die wiederum haben einen Einfluss aufs Fleisch. Es könnte weniger zart und weniger saftig werden. Die Resultate der Studie wird Acroscope demnächst publizieren.

Verdauungshorn?

Und noch mehr Nachrichten aus der Welt des Wunderhorns. Das Kuhhorn ist innen hohl und dieser Hohlraum reicht ins Schädelinnere, in die Stirnhöhle. Dazu sagt die deutsche Agrarwissenschaftlerin Jenifer Wohlers: “Wenn die Kuh atmet, gelangt die Atemluft in diese Hohlräume. Die Kuh ist ein Wiederkäuer und sie atmet Methangas und Kohlendioxid, die während der Verdauung entstehen – bis in die Hörner hinein.“ Weil die Hörner durchblutet sind, könnte es zwischen Pansen und Blutbahn eine Verbindung geben, vermutet Jenifer Wohlers und folgert: “Die Hörner könnten bei der Verdauung eine Rolle spielen.“ Anet Spengler ergänzt: “Wenn eine Kuh rülpst – und das macht sie beim Wiederkauen etwa ein, zwei Mal in der Minute –, gelangen Gase auch ins Horn. Aber ob Horn und Verdauung tatsächlich zusammenhängen, ist wissenschaftlich nicht belegt.“ Was man hingegen beobachte: Bei enthornten Kälbern entwickle sich der Schädel anders. Das Stirnbein wird oft höher und spitzer als bei Tieren mit Hörnern. Anet Spengler geht davon aus, dass diese höhere Stirnbein-Wölbung eine Kompensation sein könnte für den fehlenden Horn-Hohlraum.

Dass Hörner beim Verdauen eine Rolle spielen, davon war Rudolf Steiner überzeugt, der Begründer der Anthroposophie. Er glaubte, sie verhindern, dass Lebenskraft aus dem Tier entweicht. In einschlägigen Texten steht: “Die Hörner haben bei den Wiederkäuern eine Bedeutung für den Aufbau der Lebenskräfte. Sie bilden einen Kräfte haltenden Gegenpol zu den intensiven verdauungs- und Stoffwechselvorgängen.“ – Das Bild zeigt die Innenräume eines Kuhhorns, die mit dem Schädelinnern verbunden sind.

A wie Rind

Unser Alphabet beginnt mit einem Rinderhorn. Die Wissenschaft geht nämlich heute davon aus, dass die Urform des Buchstabens A in den ägyptischen Hieroglyphen zu finden ist. Dort steckt das Kuhhorn in einem etwa viertausend Jahre alten Bildzeichen, das einen Ochsenkopf mit Hörnern zeigt und für A wie „alpu“ steht. Im semitischen Alphabet mutierte „alpu“ zu „alepp“, dem Zeichen fürs Rind. Später wurde dieses Hornzeichen umgedreht und ist im lateinischen Alphabet zum Buchstaben A geworden. Weil das ziemlich unglaublich klingt, haben wir sicherheitshalber nachgefragt. Und zwar beim Sprachwissenschaftler Fernando Zúñiga von der Universität Bern und bei der Ägyptologin Susanne Bickel an der Uni Basel. Beide Professoren haben diese in der Wissenschaft diskutierte Theorie bestätigt.

Das Horn – eine Klimaanlage

Das Horn verhilft der Kuh sozusagen zu einem kühlen Kopf. Sie leitet über die Hörner überschüssige Wärme ab und schützt so vor allem ihr Gehirn. Je heisser das Klima, umso grösser sind deshalb die Hörner. Und umgekehrt. In kühlen Weltgegenden wachsen kleinere Hörner. Bei uns sei es einer Kuh bei Temperaturen um null Grad herum bis etwa 25 Grad am wohlsten, sagt der holländische Kuhwissenschaftler Ton Baars, der zur „Klima-Anlage“ der Kuh geforscht hat. “Wird es zu warm, kann die Kuh in einen Hitzestress kommen; ist es zu kalt ist Kältestress möglich. Weil die Hörner durchblutet sind, haben sie eine Regulationsfunktion; sie kühlen oder wärmen.“ Je heisser das Klima, umso grösser sind deshalb die Hörner. Und umgekehrt. In kühlen Weltgegenden wachsen kleinere Hörner.

Ton Baars kritisiert jene biologisch-dynamischen Landwirte, die in unseren Gegenden möglichst grosse Hörner züchten. «Ich glaube nicht, dass es die braucht. Man muss an die Umgebung angepasste Horngrössen züchten. Und man muss vielleicht auch annehmen, dass je nördlicher man kommt, je kälter es also fürs Tier wird, umso mehr muss man möglicherweise auch mal genetisch hornlose Tiere akzeptieren. Einfach weil die Tiere über ihre Hörner stark frieren können.» Baars spricht hier von der Landwirtschaft ganz im Norden Europas.

Bessere Milch von Gehörnten?

Hat die Milch von horntragenden Kühen eine bessere Qualität als jene von hornlosen Tieren? Dieser Frage gingen Forscherinnen und Forscher der Universität Kassel nach. Unter ihnen Jenifer Wohlers und Ton Baars. Die Agrarwissenschaftlerin Jenifer Wohlers hat die Kristallbilder in der Milch untersucht. «Es gibt Unterschiede, doch man weiss nicht, was sie bedeuten», sagt sie. Von einem Unterschied in der Milchqualität könne man nicht sprechen. Das sagt auch Professor Ton Baars. Qualitätsunterschiede in der Milch hätten keinen Zusammenhang mit dem Horn, meint er; hingegen erzeuge das Futter und dessen Qualität grosse Unterschiede in der Milchqualität. Ton Baars, der seit einiger Zeit vor allem in der Rohmilchforschung tätig ist, sagt: «Man sollte auch nicht immer alles auf uns Menschen beziehen. Das Horn hat vor allem eine wichtige Bedeutung für das Tier.».

Horn im Wein

Sorgen Kuhhörner für eine bessere Weinqualität? Die Frage klingt seltsam: zumindest für Uneingeweihte. Nicht aber für Georg Meissner. Er hat am grössten Rebbau-Forschungsinstitut Deutschlands in Geisenheim seine Doktorarbeit gemacht zur Wirkung von Hornmist und Hornkiesel auf Reben. Der wissenschaftliche Versucht dazu läuft dort bereits seit zwölf Jahren.

Hornmist und Hornkiesel sind eine Idee von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie. Diese Präparate entstehen, wenn man Kuhmist, beziehungsweise zermahlene Bergkristalle für einige Monate in einem Kuhhorn im Boden vergräbt, nachher das Ergebnis stark mit Wasser verdünnt und den Pflanzen zuführt. Untersucht wurde und wird noch immer die unterschiedliche Wirkung zwischen biologisch-organischen und biologisch-dynamischen Präparaten. Georg Meissner zu den Resultaten: „Reben haben oft zu viele Blätter und zu viele Geiztriebe, unfruchtbare Seitentriebe. Mit den Hornpäparaten bekommen wir eine lockerere Laubwand und es gibt weniger Geiztriebe.“ Die Trauben würden oft lockerbeerig und kleinbeerig. Das ergebe eine luftigere Traubenstruktur und so seien die Trauben oft weniger anfällig für Pilzkrankheiten und Fäulnis.

Auch der niederländische Wissenschaftler Ton Baars forschte mit dem Inhalt vergrabener Hörner. “An der Universität Kassel haben wir in Topfversuchen nachgewiesen, dass Hornmist bei Tomaten zu einer schnelleren Keimung und zu grösseren Pflanzen führt.“

Mehrere zehntausend Milchkühe in der Wüstenfarm

Eine gute Tier-Mensch-Beziehung ist das A und O einer ruhigen Herde und damit der Unfallprävention. Tiere streicheln, freundlich sein zu ihnen, sie nicht herumschubsen, ihnen genügend Raum geben, damit sie sich nicht gegenseitig verletzten: Das haben wir in dieser Facebook-Serie erfahren.

Aber diese gute, nahe Mensch-Tier-Beziehung hat Grenzen, sobald eine bestimmte Herdengrösse überschritten wird. Die Nutztierwissenschaftlerin Anet Spengler vom FIBL: «Es gibt Betriebe, die es schaffen bis etwa 150 Tiere individuell zu betreuen. Sind es mehr, dann ist das nicht mehr möglich.»

Bei uns sind in einer durchschnittlichen Herde 25 Tiere. In Deutschland leben europaweit die meisten Milchkühe. In den grössten Ställen stehen über tausend Tiere. Der weltgrösste Milchbetrieb, die Al Safi-Farm in der Wüste Saudi-Arabiens, hält mehrere zehntausend Tiere. Doch auch bei uns: Vollautomatische Melk- und Fütterungssysteme, Reinigungsroboter, automatische Fellpflege … Die Zukunft des beziehungslosen Mensch-Tier-Verhältnisses hat längst begonnen.

«In Ländern mit riesigen Tierherden ist die Nutzungsdauer noch kürzer als bei uns. In Israel liegt sie jetzt bei 1,7 Nutzungsjahren. Aber auch in der Schweiz ist sie tief, nämlich 3,5 bis 4 Jahre. In der EU sind es drei Jahre, dann sind die Kühe etwa fünf Jahre alt. Eine Kuh ist aber erst mit vier Jahren richtig erwachsen, denn erst dann ist der Zahnwechsel abgeschlossen», so Anet Spengler: «Die Tiere leben nicht lange, weil sie schon in jungen Jahren krank oder unfruchtbar werden.»

Die NZZ am Sonntag irrt, denn genetisch sind Rinder ursprünglich hornlos.

Die NZZ am Sonntag vom 28.10.18 schreibt, hornloses Rindvieh sei die «Folge einer natürlichen Mutation». Solche Mutationen kamen tatsächlich in Zuchtlinien keltischen und friesischen Ursprungs vor. Aber die Biologie der Rinder – der wilden und domestizierten – weist in eine andere, in eine gehörnte Richtung.

Der Biologe Andreas Moser, Redaktionsleiter von «Netz Natur» (Fernsehen SRF), hat mehrere Dokumentarfilme über Hausrinder realisiert. U.a. https://www.srf.ch/sendungen/netz-natur/vom-kuh-sein Andreas Moser  sagt: «Tatsächlich ist bei Rindern das Gen, das sie hornlos macht, dominant gegenüber dem Gen, das ihnen Hörner aufsetzt. Trotz dominanter Genetik für Hornlosigkeit bilden alle wilden Rinder und fast alle domestizierten doppelt rezessiv Hörner.»

Im Klartext: Zwar werden die reinen Gene weitervererbt, die für die Hornlosigkeit verantwortlich sind. Doch eben nur in der Zucht. In der Natur haben sie einen schweren Stand, denn Hörner sind in der Biologie des Rindes ein derartiger Vorteil, dass Individuen «oben ohne» durch die Natur wegselektioniert wurden. Andreas Moser: «Das ist ein klarer Beweis für den biologischen Sinn der Hörner.» Und das ist auch der Grund dafür, dass sämtliche wilden Rinder und ursprünglich auch fast alle domestizierten Hörner haben. Fazit: Hörner sind natürlich. Genetische Hornlosigkeit überlebt nur in der Obhut des Menschen, und für den natürlichen Körperhaushalt und das Sozialverhalten brauchen Rinder eigentlich ihre Hörner.

Auch in einem anderen Punkt irrt die NZZ in ihrer Horngeschichte. Da steht, bei der Regulierung der Körpertemperatur spielten die Hörner «entgegen der landläufigen Meinung offenbar keine Rolle – wissenschaftliche Beweise dafür fehlen». Das ist falsch. Es gibt mehrere wissenschaftliche Studien, die den Wärmeaustausch nahelegen, bzw. belegen. Eine der ältesten Arbeiten stammt von Charles R. Taylor (Harvard-Universität) aus dem Jahre 1966. Eine weitere Studie aus dem Jahre 1999 von Karine Picard et al. (Université de Sherbrooke, Sherbrooke, Québec) legt mit einer Reihe von Experimenten diesen Wärmeaustausch ebenfalls nahe. Zitat aus der Zusammenfassung: «We argue that differences in horn morphology between temperate and tropical Bovidae appear to have evolved as adaptations to restrict heat loss in the former while facilitating heat loss in the latter group.”

Des weiteren schreibt die NZZ:
«Vollends ins Reich anthroposophischer Esoterik gehört die Behauptung, dass Hörner die Verdauung der Wiederkäuer unterstützen. Es gibt keine ernstzunehmende Untersuchung, die diese Idee Rudolf Steiners bestätigt hätte.»

Das ist richtig, es gibt keine wissenschaftliche Bestätigung für diese Theorie. Trotzdem scheint es einen Zusammenhang zwischen Verdauung und Horn zu geben. Das Horn produziert zwar keine verdauungsrelevanten Wirkstoffe (Enzyme oder Hormone) wie die Leber oder Bauchspeicheldrüse. Trotzdem gibt es ein paar interessante Fakten, welche auf einen Zusammenhang der Hörner mit dem Wiederkäuer-Verdauungssystem hinweisen:

  • Nur Wiederkäuer haben Hörner.
  • Es bestehen direkte anatomische Verbindungen zwischen den Vormägen und den Hohlräumen der Hörner via Speiseröhre, Nasenneben- und Stirnhöhlen.
  • Der innere Teil des Horns entwickelt sich embryologisch gesehen aus dem gleichen Keimblatt wie die Vormägen.
  • Die Grösse der Hörner nimmt mit Zunahme des Anteils Rohfaser (Zellulose) im Futter zu: Eiweissreiches Futter auf den immergrünen Kanalinseln ist leichter verdaubar und führte zu einem minimalen Hornwachstum. Durch gezielte Weiterzüchtung dieser Tiere entstanden dann die hornlosen Populationen. Das Ungarische Grauvieh oder Steppenrind hat mächtige Hörner. Noch extremer in der Grösse sind sie beim Watussirind in Afrika.
  • Die Schädelform bei genetisch behornten Kühen, welche als Kälber enthornt wurden, verändert sich mit zunehmendem Alter in der Längsachse. Sie bilden eine keilartige Ausbuchtung nach oben. Im Innern besteht diese aus Hohlräumen. Es sieht nach Kompensation für die fehlenden Hohlräume der Hörner aus.

Quelle für 1 - 5: Dr. vet. W. Gisler, 2018.

Kühe ohne Hörner haben mehr Zusammenstösse als Kühe mit Hörnern

Horntragende Kühe halten zur Nachbarin einen grösseren Abstand als Tiere ohne Hörner, da die Nachbarin weiss, dass es schmerzhaft werden könnte, wenn sie zu nahe kommt. Ohne Hörner kommt es zu mehr Zusammenstössen.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Sie wurden bereits 1974 von Bruno Graf in seiner ETH-Diplomarbeit untersucht mit dem Titel «Aktivitäten von enthornten und nicht enthornten Kühen auf der Weide». Bruno Graf untersuchte im Sommer 1971 zwei Braunviehherden von je 15 Tieren, die in etwa dieselbe Altersstruktur hatten. Die eine Gruppe trug Hörner, die andere nicht. 

Graf schreibt:
«Kommen sich Tiere mit Hörnern (…) zu nahe, so genügt dem stärkeren Tier meist eine drohende Kopfbewegung oder ein paar Schritte in Richtung des Gegners, um diesen zu verdrängen. (…) Bei der enthornten Herde konnte jedoch beobachtet werden, wie ein Tier auf ein anderes zu rannte und dieses mit Kopfstössen vertrieb.» Und: «Verdrängungsaktionen bei Hornlosen sind signifikant häufiger mit Körperkontakt (Hornstösse) als bei behornten Tieren.» Weil diese einen grösseren Abstand wahren.
«Es zeigte sich, dass sich die enthornten Tiere durchschnittlich näher beieinander aufhalten (…)  Dies führt dazu, dass Auseinandersetzungen bzw. Verdrängungsaktionen zwischen enthornten Tieren viel häufiger auftreten.» Dies, so Graf, geschehe mit Kopfstössen. Denn enthornte Tiere müssten energischer vorgehen, um den gleichen Effekt zu erzielen, nämlich das Weichen des Gegners. Zudem habe man gesehen, dass die enthornten Tiere langer dauernde Liegeperioden einschalten als die Horntragenden, dafür aber weniger oft abliegen und aufstehen. Letzteres lässt sich aber statistisch nicht sichern.

Längere Liegeperioden sind ein Indiz dafür, wie ruhig oder unruhig eine Herde oder das einzelne Tier ist. Die Nutztierwissenschaftlerin Anet Spenger-Neff sagt dazu: «Normal wären lange Liegeperioden und keine häufigen Wechsel.» Anet Spengler glaubt, dass sich Grafs Erkenntnisse auch auf genetisch hornlose Tiere anwenden lassen.

Was Graf 1974 beobachtete, wurde weitgehend von einer neuen Studie der Universität Kassel bestätigt, wie in dieser Facebook-Serie in der Folge 6 zu lesen war. Die deutsche Agrarwissenschaftlerin Julia Johns hat die Studie begleitet und sagt: «Wir (…) sahen, dass in behornten Herden die Auseinandersetzungen mit Körperkontakt tendenziell eher abnehmen und eher in hornlosen Herden auftreten. Bei diesen können Blutergüsse unter der Haut auftreten, wenn sich die Tiere mit Kopfstössen verletzen.»

Im Horn steckt Musik

Im Horn der Kuh steckt Musik. Denn vermutlich verwendeten bereits die ersten Menschen Tierhörner zu Signalzwecken, jene nämlich vom Ur, dem Auerochsen. Er ist der Urahnen all unserer Hausrinder. Der Berner Oberländer Musiker Roland Schwab nahm die Ur-Idee auf und entlockt dem Kuhhorn erstaunlich melodiöse Töne ( --> Video).

Der Auerochse trat übrigens erstmals vor etwa zwei Millionen Jahren in Indien auf. 1627 ist der weltweit letzte bekannte Ur in Polen gestorben. Ur-Stiere mit ihren enormen Hörnern sind in frühsten Kulturen des Nahen Ostens und Europas auf Opferaltären geschlachtet worden; da sie eine magische Bedeutung hatten. Die lyraförmigen Hörner galten in frühzeitlichen und antiken Darstellungen auch als kosmisches Symbol für die Verbindung des Irdischen mit dem Universum.

Frühe Indizien für die Verehrung des Kuhhorns finden sich auf zehntausende von Jahren alten Felszeichnungen der Steinzeitmenschen. So etwa die Ur-Rinder in den Höhlenmalereien im französischen Lascaux.

Die römische Mythologie kennt das Füllhorn, aus dem Blumen und Früchte quellen. Es steht für Glück, Überfluss, Reichtum.

In der ägyptischen Mythologie wird die Sonne, das Symbol des Lebens schlechthin, manchmal von zwei Kuhhörbern eingerahmt, die auf dem Kopf der Göttin Hathor thronen. Auch Isis, Göttin der Geburt, trägt auf manchen Darstellungen Kuhhörner.
Nut, die Göttin des Himmels, wird oft als riesige Kuh über dem Firmament dargestellt.

Hörner an der Weihnachtskrippe

Ein behorntes Rindvieh Auge in Auge neben dem neugeborenen Kind – das mag abstrus klingen. Doch genau dies zeigen früheste Krippenbilder. Das älteste stammt aus dem 4. Jahrhundert, zu sehen in den Vatikanischen Museen auf dem Sarkophag der römischen Kaisergattin Crispina. Erstaunlich dabei: Maria und Josef sind im Hintergrund. Dafür steht der behornte Ochse zusammen mit dem Esel direkt an der Krippe. “Es scheint, als ob das Christenvolk sich damals vor horntragenden Ochsen nicht fürchtete“, sagt der deutsche Kuhforscher und Demeter-Experte Ulrich Mück. „Sonst stünde das Tier wohl nicht so nahe beim Kind.“

Milch mit Horn – Hornmilch

Die Hörner der Milchkuh gibt es heute nicht mehr umsonst. Bauern bekommen für ihre Erzeugnisse nicht den Preis, der für eine ethisch verantwortbare Tierhaltung nötig wäre. Was mir der Südschwarzwaldbauer Oswald Tröndle in einem Interview sagte, trifft wohl auch auf die Schweiz zu: “Wenn der Konsument will, dass die Tiere Hörner tragen, müssen wir mehr Sicherheitsauflagen beachten, die Produktion wird wesentlich teurer. Und ob der Konsument dann bereit ist, dies zu entlohnen, habe ich meine Zweifel.»

Der deutsche Agrar-Ingenieur und Demeter-Berater Ulrich Mück plädiert für die Förderung von Landwirten, die horntragenden Kühe halten. «Das heisst, dass die Bauern für den grösseren Raumbedarf entschädigt werden, den horntragenden Kühen oft brauchen. Mit drei Cents mehr pro Liter Milch wären die Kosten deckend getragen. Ein kleiner Aufschlag für die Milch würde es also ermöglichen, horntragende Kühe zu halten.»

Das ist ganz im Sinne der Initiative in der am 25. November in der Schweiz abgestimmt wird.

Wären Sie bereit, Ihren Kühen und Rindern die Hörner zu belassen, wenn Sie mehr Geld für die Milch bekämen? Die Frage geht an Oswald Tröndle. Er sagt: «Ich glaube nicht und zwar wegen der Sicherheit der Mitarbeiter.» Allerdings sind in der Realität hornbedingte Unfälle zwischen den Tieren und erst recht zwischen Tier und Mensch höchst selten. Der Schweizer Biobauer Martin Ott vermutet hinter solchen Argumenten rein wirtschaftliche Überlegungen. So braucht es für Tiere mit Hörnern zum Beispiel einen etwas grösseren Stall.

Konsumenten und Verbraucherinnen, die einen Beitrag an die Erhaltung dieses Wunderhorns leisten wollen, das zum Wesen und zu einem artgerechten Leben der Kuh gehört, haben die Wahl. Nicht nur am 25. November an der Urne. Es gibt nämlich die sogenannte Hornmilch, die Demetermilch.

Demeter ist weltweit der älteste ökologische landwirtschaftliche Anbauverband und es ist das Label für Lebensmittel aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft. Es verbietet seinen angeschlossenen Betrieben als einziges Label ein Enthornungsverbot für Tiere.

Der Name Demeter wurde gewählt, weil die griechische Muttergöttin in der Mythologie die Verantwortung für die Fruchtbarkeit in die Hände der Menschen gelegt hat.

Demeter-Produkte gibt es in der Schweiz unter anderem in Hofläden der Bio-Landwirtschaft, in Bioläden und manchen Reformhäusern.  In der Schweiz führt das Label KAGfreiland ebenfalls Milch von Kühen mit Hörnern. In Deutschland gibt es ausserhalb des Demeter-Labels einige andere Hersteller, die Hornmilch und Hornkäse produzieren.

Ob also die Kuh ihre Hörner behalten darf oder nicht, das hängt zumindest ein bisschen von uns allen ab. Ob wir bereit sind, etwas mehr für Milchprodukte zu bezahlen.

HORN PLEASE !

Indische Lastwagenfahrer malen mit viel Fantasie „Horn please“ auf die Rückseite ihres Vehikels. „Horn please“ gehört zur indischen Truck-Kultur. Auch weil die Aufforderung zum Hupen oft als kleines Kunstwerk daherkommt. Würde dieser Tage ein indischer Truck mit dieser Aufschrift durch die Schweiz fahren, bekäme wohl die Aufforderung noch eine ganz andere Bedeutung. So etwas nämlich wie eine Wahlempfehlung für den 25. November.

In Indien, dem Land der „heiligen“ Kühe, fordert die Bitte „rangniedrige“ Fahrzeuge wie Autos und Motorräder zum Hupen auf, wenn sie überholen wollen. Weil jedoch diese „Hupitis“ ein Beitrag ans ohnehin akustisch verschmutzte Land ist, werden die Laster zunehmend „enthornt“. Das heisst: das „Horn please“ ist heute vielerorts verboten – zumindest auf dem Papier.

In der Hindu-Mythologie ist die Kuh die Mutter des Universums. In der Kuh, so glauben viele Hindus, wohnen alle Götter. In den meisten indischen Bundesstaaten ist deshalb das Töten von Kühen gesetzlich verboten, eine nationale Regelung gibt es jedoch nicht.  2014 wurde im Bundesstaat Rajastan ein Ministerium für Kuh-Wohlfahrt (Ministry of Cow Welfare) eingerichtet.

Vor allem in den letzten Jahren ist die Kuh ein Symbol des indischen Hindu-Fundamentalismus geworden. Indische Nationalisten nehmen den Mutterbegriff wörtlich und nicht nur symbolisch. Wer die Kuh nicht ehrt oder sie sogar isst, gilt für Nationalisten als Verbrecher. Es kommt deswegen immer wieder zu gewalttätigen, ja tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen, die Rindfleisch essen. Aber auch Christen und weitere Gruppen mit einer anderen Religion und Weltanschauung werden zunehmend zur Zielscheibe fanatischer Hindu-Nationalisten. Die Kuhthematik spaltet ein ganzes, riesiges Land.

Eine indische Journalistin, die in der Schweiz lebt, sagte mir kürzlich: «In der gegenwärtigen Regierung steht der Kuhschutz ganz oben auf der nationalen Agenda. Wenn man daneben die übrigen Herausforderungen im Land sieht, so ist das doch ziemlich merkwürdig.» 

Wer mehr über die heiligen Kühe Indiens wissen möchte: https://www.peterjaeggi.com/

Interview mit Ton Baars: Man könnte ja auch den Schwanz wegzüchten

Was ist eine Kuh für Sie?
Eine Kuh ist ein Herdentier und Teil einer Gruppe. Für mich ist eine Kuh ein in sich ruhendes wiederkauendes Tier. Wenn man beobachtet, was so ein Tier am liebsten macht, dann ist es Fressen, sich hinlegen, widerkauen. Schlaf gibt es fast nicht bei Kühen, die nicken so ein bisschen ein und sie sind eigentlich ständig beschäftigt mit ihrtem   Stoffwechsel. Gras, Grünfutter undsoweiter.

Zum Enthornen: Kühe ohne Hörner sind nicht nur in der konventionellen Landwirtschaft anzutreffen.
Ja, das Interessante ist, dass man auch in der ökologischen Landwirtschaft ausserhalb von Demeter sieht, dass viele Verbände genetisch hornlose Kühe akzeptieren. Das wird als die Lösung gesehen, weil man dann keine Tiere mehr enthornen muss.

Was ist aus Ihrer Sicht die Lösung?
Das hängt von der Perspektive ab. Wenn man denkt, das Horn sei eine Waffe, könnte man ja sagen, die Hornloszüchtung ist die Lösung. Wenn man jedoch weiss, welche Bedeutung der Hörner haben, ist die Frage, ob man wirklich enthornen soll. Wir können heute sehr Vieles künstlich gestalten. Je künstlicher man gestaltet, je mehr schneidet man einem Tier einfach weg. Man könnte ja auch den Schwanz wegzüchten, man kann die Hörner abschneiden oder wegzüchten. Die Frage ist: Wollen wir das? Aus ethischen Gründen, aus Gründen der Tier-Integrität. Was gehört noch zum Tier und wo dürfen wir eingreifen?

Wer soll das entscheiden?
Die Kuh.

Aber die spricht nicht.
Ja, und deshalb muss man lernen, die Tiere richtig wahrzunehmen. Und da sieht man zum Beispiel im Laufstall, dass sie einen bestimmten Abstand zueinander halten. Und dann merkt man, aha, das Tier kann mit den Hörnern kommunizieren.

Es ist bekannt, dass die Horngrösse auch vom Klima abhängt. Je wärmer die Klimazone, umso grösser die Hörner. Je kälter, umso kleiner sind sie ...
Ja und da sollten sich biologisch-dynamischen Landwirte auch mal fragen: Welche Horngrösse und welche Hornqualität braucht die Kuh in verschiedenen Klimazonen?  Muss man überall grosse Hörner züchten? Ich glaube eher nicht.  Man muss an die Umgebung angepasste Horngrösse züchten. Je nördlicher man kommt, je kälter wird es für das Tier. Da sollte man vielleicht auch mal genetisch hornlose Tiere akzeptieren, weil die Tiere über ihre Hörner stark frieren können.  Ich will das Horn nicht weghaben, aber ich will das Horn an die Kuh in ihrer Umgebung anpassen.

Themawechsel. – Sie beschäftigen sich seit einiger Zeit mit Rohmilchforschung. Bei uns hat Rohmilch einen eher schlechten Ruf.
Das ist sehr schade. Gerade für Schwangere, junge Kinder und ältere Leute hat Rohmilch Vorteile. Das junge Kind muss sein Immunsystem richtig aufbauen und wir wissen, dass die Rohmilch da eine Rolle spielt. Ältere Leute brauchen einfach viel mehr roh fermentierte Produkte, um ihre Darmflora richtig zu schützen, so dass die nicht umkippt und sie gesund bleibt. Da spielen Rohmilchprodukte eine bedeutende Rolle.

(Der Niederländer Ton Baars hatte an der deutschen Universität Kassel von 2005 bis 2011 die weltweit erste Professur für biologisch-dynamischen Landbau. Seit seinem Abgang ist er freiberuflicher Milchqualitätsforscher. Der Text oben besteht aus Auszügen aus einem Interview des Autors vom September

Die Kopfstösse der Hornlosen

Gestern Nachmittag mit den letzten Äpfeln des Jahres zum wiederholten Mal ein kleiner Verhaltens-Versuch mit drei Nachbarinnen gemacht, allesamt hornlos.

Ich werfe einige Kilo Äpfel auf die Weide und filme, was passiert. Es handelt sich hier um eine Konkurrenzsituation rund ums Futter. Die Äpfel liegen nahe beieinander. Die drei Rinder sind sich also beim Fressen sehr nahe.

Was bereits Jahrzehnte alte Studien sowie auch neuere Untersuchungen zeigten und zeigen, hat sich voll bestätigt:

Wenn die Hörner fehlen, gibt es Kopfstösse. Sind Hörner da, genügt eine Kopfbewegung und die Nachbarin geht ein paar Schritte zur Seite. Keine Berührung. Keine Verletzung.

Kopfstösse jedoch können blaue Flecken, Blutergüsse und Schlimmeres verursachen. Zwar gibt es keine Unfallstatistik zu hornbedingten Unfällen (Unfälle zwischen Tieren und zwischen Mensch und Tier), doch manches und auch Studien weisen darauf hin, dass fehlende Hörner zu mindestens so vielen Problemen führen können, wie Hörner.

Wer als Kuh keine Hörner hat, wird sozusagen vor den Kopf gestossen.

(…) «Kühe mit Hörnern lösen Konflikte und Rivalitäten mehrheitlich ohne Körperkontakt», sagt Eva van Beek von Agroscope. Oft reiche ein Drohen mit den Hörnern, und das rangniedrigere Tier weiche aus. Anders verlaufen hingegen Streitereien unter enthornten Kühen. Deutlich häufiger kommt es dann zu Kopfstössen. In der Folge haben die Kühe zwar keine klaffenden Wunden, dafür etwa Hämatome oder gar Rippenbrüche. (…)

--> Sonntagszeitung vom 7. Oktober 2018

Hörner!

Schauplatz: Südsudan. Die Tagestemperaturen erreichen durchschnittlich 36 °C. Mit ihren riesigen Hörnern tragen diese Zebu-Rinder ihre eigene Klimaanlage auf dem Kopf. Das Horn spielt nämlich eine Rolle beim Wärmeaustausch (siehe Folge "Das Horn – eine Klimaanlage").

Für die Südsudanesen dreht sich so ziemlich alles um die Kuh. Kühe, mit denen sie sehr eng zusammenleben, sind die wirtschaftliche Grundlage. Die imposanten Hörner werden speziell gepflegt, teilweise auch geformt, was den Wert des Tieres steigert.

Mit Kühen bezahlen Männer vor der Heirat auch ihre Mitgift. Eine Braut kann bis zu hundert Kühe kosten. Nicht jede Kuh ist gleich viel wert. Der Preis wird bestimmt durch das Geschlecht, die Farbe und die Form der Hörner.

Die Bilder entstanden im Herbst 2017 in einem Kuhlager im südsudanesischen Mayendi. Die Familien eines Dorfes sind während der Trockenzeit in solchen Camps untergebracht. Junge Männer, oft mehrere hundert, wandern mit den Tieren den Flüssen entlang auf der Suche nach Wasser und Futter.

Die Tücher und Fransen an den Hörnern sind Erkennungsmerkmale, weil in solchen Lagern Hunderte von Kühen unterschiedlicher Besitzer zusammenleben.

Wie du mir, so ich dir – Von der Kuh-Mensch-Beziehung

„Wenn Landwirte die Meinung haben, ihre Kühe seien eher gut zu handhaben, dass sie intelligent sind, dass sie Kontakt zum Menschen schätzen und wenn Bauern die Meinung haben, dass man geduldig gegenüber Kühen sein soll, dass man regelmässig freundlichen Kontakt mit den Tieren pflegen sollte, dass man streichelnd durch die Herde gehen soll …  Wenn ein Bauer all dies wichtig findet, dann haben sich auch die Tiere entsprechend freundlich verhalten. Die Kühe waren ruhiger, weil sie positive Erfahrungen machen. Und umgekehrt: Je negativer die Einstellung, desto mehr Furcht der Kühe vor Menschen und umso unruhiger ist eine Herde.“

Man sieht die Verletzungen nicht

«Ich würde nicht das Unfallproblem im Fokus sehen. Ich beobachte, und das wissen sehr viele Praktiker auch, dass die Art des Tierhalters, die Art, wie er mit den Tieren umgeht, bezüglich Verletzungen im Stall von grösserer Bedeutung ist. Und es müssen nicht alle Verletzungen blutig sein.  Bei enthornten Kühen gibt es fast genau so viele Verletzungen wie bei Kühen mit Hörnern. Abhängig vom Charakter des Tierhalters. Man sieht die Verletzungen nur nicht, sie sind nicht blutig es sind blaue Flecken. Und wenn man die mit beurteilt, dann ist das Horn eigentlich gar kein Problemfaktor mehr, in dem Sinne, dass es mehr oder weniger Verletzungen gibt. Sondern es ist eine Art, wie der Mensch mit den Tieren umgeht und wie die Stallungen gebaut sind Das ist das grössere Problem, dass eben die Stallungen meistens zu eng sind für die Tiere und sie sich deshalb nicht genügend ausweichen können.»

Jenifer Wohlers, Agrar-Ingenieurin


Wenn es ins Auge geht

«Wirklich spezifisch für Kuhhörner sind Augenverletzungen und dass man die vermeiden kann, wenn die Tiere enthornt sind. Das ist natürlich richtig, dass für diese spezifische Verletzung ein geringeres Risiko da ist. Aber das als Grund für die Enthornung zu nehmen, halte ich trotzdem nicht für richtig, weil grundsätzlich die Unfallgefährdung vor allem mit dem Umgang mit dem Tier beeinflusst wird und durch die Beziehung des Tieres zum Menschen. Also wenn hier eine gute Beziehung besteht, das Tier keine Furcht hat, der Mensch einen ruhigen Umgang ausübt, nicht hektisch ist, dann ist die Unfallgefahr grundsätzlich deutlich geringer, da gibt es verschiedene Untersuchungen dazu.»

Susanne Waiblinger, Professorin am Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der veterinärmedizinischen Universität Wien


Nicht gefährlicher

«Grundsätzlich muss man sagen, dass es überhaupt keine Hinweise und auch keine wissenschaftlichen Untersuchungen gibt, dass horntragende Rinder gefährlicher wären, nur weil sie Hörner haben.»

Ulrich Mück, Agrar-Ingenieur und Demeter-Berater in Bayern

Über glückliche Kühe

"Es geht nicht darum, ob eine Kuh mit Hörnern glücklicher ist; es geht darum, dass wir das Wesen einer Kuh nicht zerstören dürfen. Dass wir sie so lassen, wie sie ist und wie sie geschaffen wurde. Und dazu gehören die Hörner."

Claudia Capaul


"Ich weiss nicht, ob eine Kuh mit Hörnern glücklicher ist. Weil halt so viele andere Aspekte in ihrem Leben eine ganz wichtige Rolle spielen. Ich würde sagen, eine Kuh ist glücklich, wenn sie gutes Futter auf der Weide hat, wenn sie einen guten Platz hat, wo sie ruhig liegen und wiederkäuen kann und wenn sie die Möglichkeit hat, mit den anderen Kühen friedlich zusammen zu leben und wenn sie eine rangniedrige Kuh ist, anderen Kühen auszuweichen, so dass sie nicht ständig in Bedrängnis ist. Das sind die wichtigen Dinge, damit eine Kuh ,glücklich, ist."

Anet Spengler -Neff, Nutztierwissenschaftlerin (FIBL)

Leistung gilt mehr als Charakter

«Innerhalb der letzten 40 Jahre hat der Charakter der Tiere, die Umgänglichkeit der Tiere in der Tierzucht eigentlich keine Rolle mehr gespielt. Da ging es nur noch um Leistung. Während in den 60er Jahren der Charakter der Tiere noch im Herdenbuch mit aufgezeichnet wurde, ist das seither nicht mehr der Fall. Das heisst: Ich vermute auch, dass vielfach charakterlich schwierige Kühe in Herden gehalten werden, die man besser selektieren sollte, wenn man ruhige Herden haben möchte.»

Ulrich Mück, Agrar-Ingenieur und Demeter-Berater in Bayern

Aberdeen Angus hatten Hörner

„Zum Beispiel die Aberdeen Angus (Foto) … eine Rasse, die keine Hörner ausbildet. Doch erst etwa seit 800 Jahren. Vorher hatten sie Hörner. Man hat einfach mit jenen Tieren weitergezüchtet, die keine Hörner ausgebildet haben. So wurden sie hornlos. Und so macht man es ja jetzt auch mit noch viel mehr Rassen.“

Anet Spengler-Neff, Nutztierwissenschaftlerin am FIBL

Hörner kosten mehr

«Man kann die Wirtschaftlichkeit der horntragenden Kühe quantifizieren. Man kann berechnen, dass pro Tierplatz im Ökolandbau für die Haltung horntragender Kühe 800 bis 1200 Euro mehr aufgebracht werden müssen, wenn man einen neuen Stall baut. Wenn man dies umrechnet auf den Liter Milch, dann müssten jene, die einen etwas anders gestalteten und grösseren Stall bauen, mindestens 1,5 bis 3,5 Cent pro Liter mehr bekommen, um diese Mehrinvestition ausgeglichen zu bekommen.

Die Haltung horntragender Kühe müsste endlich stärker gefördert und dieser Mehrplatzbedarf den Betrieben, die Ställe für horntragende Kühe bauen, auch entgolten werden. Ein sehr grosser Wunsch ist natürlich, dass die Verbraucher die Halter mit diesen paar Cents mehr unterstützen. Ein kleiner Aufschlag für die Milch würde es ermöglichen, den Landwirten und Landwirtinnen das Halten horntragender Kühe zu erleichtern.»

Ulrich Mück, Agrar-Ingenieur und Demeter-Berater in Bayern

Die Kuh, ihr Horn und die Demokratie

Der ehemalige Parteipräsident der SVP, Nationalrat und Bauer Toni Brunner, wird für die Hornkuh-Initiative stimmen. Wie er kürzlich dem «Blick» sagte, stehen für ihn alle drei Abstimmungen vom 25. November für schweizerische Selbstbestimmung, nicht nur die gleichnamige Initiative aus seinem Hause.

Brunner hat recht. Im Grunde genommen ist natürlich jede Volksinitiative, die an die Urne kommt, ja, jede Abstimmung überhaupt, ein Stück schweizerische Selbstbestimmung. Denn in keinem anderen Land der Welt kann sich jede Bürgerin und jeder Bürger so oft und so direkt zu politischen Fragen äussern wie in der Schweiz. Die Hornkuh-Initiative bildet hier aber noch einmal einen Spezialfall: Ein einzelner Bündner Bergbauer namens Armin Capaul hat es ohne grosse Partei oder Organisation im Rücken geschafft, eine nationale Abstimmung gewissermassen zu erzwingen. Durch alle Instanzen hat er sich durchgekämpft, am Schluss stand eine Volksinitiative. Mehr Basisdemokratie kann man sich gar nicht vorstellen.

Die offizielle Politik hatte natürlich Mühe mit dieser Idee. Ein Hornkuh-Artikel in der Bundesverfassung? Unschön, sicher. Das Begehren gehört eigentlich auf Gesetzes- oder sogar nur auf Verordnungsebene. Aber es gibt in der Schweiz nun mal nur eine Volksinitiative auf Verfassungsänderung, das ist nicht Capauls Problem. Noch mehr Subventionen für die Bauern? Problematisch, sicher. Aber bei drei Milliarden Landwirtschaftsausgaben pro Jahr fallen die 15 Millionen, die für Capauls Begehren erforderlich sind, nicht ins Gewicht.
Die Hornhuh-Initiative verfolgt einen liberalen Ansatz. Sie verbietet nicht das Halten von Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Ziegenböcken, denen man die Hörner entfernt hat. Sie begünstigt bloss jene Bauern, welche sich für das Gegenteil entscheiden. Diese sollen als Anreiz ein paar Franken pro Jahr erhalten. Damit sind auch die Argumente entkräftet, dass in modernen Ställen das Horntragen für Mensch und Tier gefährlich sei und dass wegen dieser Gefahren die Tiere weniger auf die Weide gelassen würden. Jeder Betrieb, jeder Bauer kann selbst entscheiden, ob er Tiere mit oder Hörner will. Dieser Entscheid wird aufgrund der betrieblichen Bedürfnisse gefällt werden.

Dass diese Initiative so quer zum offiziellen Berner Politbetrieb steht, macht ihren Charme aus. Irgendwie ist dieses Volksbegehren aus der Zeit gefallen. Dazu gehört auch der Schuss Esoterik, mit dem es angerührt wird: Horntragende Kühe sollen die bessere Milch geben als ihre Schwestern aus der Tierindustrie – und sie sollen aufgeweckter und kommunikativer sein. Wichtiger ist wohl, dass ihnen die schmerzliche Prozedur der Hornentfernung erspart bleibt und dass sie so leben können, wie es die Natur eingerichtet hat.
Unbesehen des Ausgangs der Abstimmung kann sich Armin Capaul schon heute als Sieger sehen. Er hat gezeigt, dass die direkte Demokratie und die Selbstbestimmung in der Schweiz mehr denn je lebendig sind. Die grossen ausländischen TV-Sender werden am Abstimmungssonntag über diese Vorlage aus der Schweiz wieder mit einer Mischung aus Kopfschütteln und Bewunderung berichten.

Isolierte Jungtiere können später aggressiv werden

"Man sollte mit umgänglichen Tieren weiterzüchten. Wenn man Kälber lange einzeln hält, kann sich das später negativ aufs Verhalten auswirken. Es gibt Forschungsarbeiten, die zeigen: Wenn Bullen einzeln, isoliert aufwachsen, sind sie später gegenüber Menschen aggressiver."

Susanne Waiblinger, Professorin am Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der veterinärmedizinischen Universität in Wien

Geld und Geist – Keine neuen Subventionen

Wir wollen keine weiteren Subventionen. Das ist einer der Hauptkritikpunkte der Gegner der Hornkuh-Initiative. «Diese Kritik ist nicht berechtigt. Es geht nicht um neue Subventionen», sagt Anet Spengler-Neff vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick (FIBL). Sie ist Nutztierwissenschaftlerin und Mitglied des Initiativkomitees und meint, die etwa 15 Millionen Franken an die Erhaltung der Hörner könnten gut mit einer Umverteilung gefunden werden. In einem Budget von 3,7 Milliarden Frabnken sei das nötige Geld zu finden wenn man nur wolle, ergänzt Biobauer Martin Ott. Er ist einer der prominentesten Biobauern im Land sowie Buchautor und Stiftungsratspräsident des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau. Ott leitet in Rheinau die Schule für biodynamische Landwirtschaft. Auch Peter Brügger, Direktor des Solothurnischen Bauernverbandes bestätigt, dass Beiträge für Hornkühe nicht zu zusätzlichen Direktzahlungen führen würden. Aber: «Der Finanzrahmen ist gegeben. Es gäbe eine Umverteilung der Direktzahlung. Das sind Leistungen, die im politischen Prozess von der Gesellschaft verlangt wurden und diese würden künftig schlechter abgegolten.» Die Definition der Leistungen und der Abgeltungen, festgelegt vom Bundesrat, basierten auf fundierten Berechnungen und seien durch den politischen Prozess verankert worden. «Wir wehren uns deshalb gegen die Behauptung, man könne einfach etwas umverteilen», sagt der Interessenvertreter der Bauern. Und weiter fordert Peter Brügger: «Wer eine Umverteilung will, sollte auch erklären, welche gemeinwirtschaftliche Leistung nicht mehr erbracht werden soll oder welche weniger wert sein soll.» Agrar-Ingenieurin Anet Spengler liefert einige der gewünschten Erklärungen und nennt Sparbeispiele, die wohl auch vom grössten Teil der Gesellschaft abgesegnet würden: «Folkloristische Landschafts-Qualitätsbeiträge für Holzpfosten, Tristen oder Rebhäuschen.»

Martin Ott führt noch grössere Sparbrocken ins Feld wenn er sagt, allein bei der Zuckerrübenförderung von jährlich rund 150 Millionen Franken läge ein enormes Spar-, bzw. Umverteilungspotential drin. Der Zuckerrübenanbau werde in der Schweiz nicht mehr bäuerlich gemacht. «95 Prozent der Höfe stellen bezahlten Lohnunternehmern das Ackerland zur Verfügung, nachdem der Bauer vielleicht gerade noch das Saatbeet bereit gemacht hat.» Es gebe viele Studien, die zeigten, dass der Zucker von Kleinbetrieben aus Kuba und Mittelamerika trotz langen Transportwegen viel ökologischer und ökonomischer wäre.

Oder, so Anet Spengler, es könnten wieder eine Einkommensgrenze für Direktzahlungen eingeführt werden. «Dann wäre schnell ein grosser Batzen übrig.» Zudem bleib das Agrarbudget in Zukunft gleich gross – trotz immer weniger Betrieben. In der Schweiz gebe es, so Martin Ott, etwa zweihundert Betriebe, die über eine Viertelmillion Franken pro Jahr erhalten – bis zu bis 560 000 Franken. «Würde man für grosse und reiche Betriebe eine Obergrenze von jährlich maximal 250 000 Franken setzen, brächte dies jedes Jahr rund 20 bis 30 Millionen.»

Ott wird grundsätzlich, wenn er sagt, es gebe nun einmal einen politisch ausgehandelten Vertrag zwischen der Gesellschaft und der Landwirtschaft. «In diesem Vertrag bringen die Höfe Leistungen, die nicht vom Markt bezahlt werden können, die jedoch einen grossen Wert haben.» Es sei deshalb unvermeidlich und richtig, dass die Ausrichtung dieser Zahlungen immer wieder politisch neu verhandelt werden müsse. Auch andere Berufsgruppen hätten solche Gesellschaftsverträge. «Ärzte zum Beispiel; sie bringen ihre Leistungen in einem völlig durchgeregelten Markt.» Zudem bestimme der Staat, dass jeder Bürger und jede Bürgerin monatlich das Geld für die Ärzte in eine Kasse einzahlen müsse. «Die Preise sind vorgeschrieben, die Leistungen werden staatlich kontrolliert usw. Was ist da anders?» fragt Martin Ott. Für ihn sei die Hornkuh-Abstimmung auch eine Richtungsabstimmung. Darüber, wie die Milliarden verteilt werden. «Nämlich in eine mechanisierte Landwirtschaft, in der schlussendlich der einzelne Hof alles Know-how verliert und an die Lohnunternehmer auslagert oder an die Beobachtung und hoch anspruchsvolle Sozialarbeit mit den Tieren, die ein Landwirt leisten darf, wenn er eine behornte Herde managet.» Sorgfalt statt rationalisierbare Arbeit sollte laut Martin Ott die Devise dieser Abwägung sein. Der Landwirt und seine Berufskompetenz werde so weniger ersetzbar. «Und das ist langfristig eine kulturelle Frage.»

Mehr über Hörner und die Kuh…

…findet man im hervorragend und kurzweilig geschriebenen Buch «Kuhhorn» von David Hunziker, kürzlich erschienen im AT-Verlag. ISBN 978-3-03800-997-9  --> bestellen
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Martin Ott, prominenter Biobauer und Leiter der biodynamischen landwirtschaftlichen Ausbildung der Schweiz hat das Buch geschrieben mit dem Titel «Von der Würde der Kuh». Er und seine Mitautoren erzählen spannende Hintergründe und Verhaltensbeobachtungen rund ums Rindvieh. Martin Ott, Von der Würde der Kuh – Ansätze und Gespräche, Fona-Verlag 2018. ISBN 978-3-03781-097-2.  --> bestellen
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Peter Jaeggi, Autor dieser Facebook-Serie hat das bisher einzige deutschsprachige Buch über die heiligen Kühe im Hinduismus geschrieben:

DIE HEILIGE KUH
Eine kleine indische Kulturgeschichte

Seit Jahrtausenden verehrt und buchstäblich in den Himmel gehoben: Die Kühe auf dem indischen Subkontinent waren schon immer etwas Besonderes. In den Veden, die zu den ältesten Schriften der Menschheit gehören, wird die Kuh als Mutter des Universums gepriesen. Wer sie verehrt, wird im nächsten Leben glücklich sein. Wer sie quält oder gar tötet, den erwartet die Hölle. Kühe waren ein Synonym für materiellen und spirituellen Reichtum. Um Kühe gab es erbitterte Kriege. Im modernen Indien ist die Kuh ein heftig umstrittenes Politikum. Dieses Buch beleuchtet die mystische und reale Geschichte eines Tieres, über das ein Jahrtausende alter Text sagt: «Kühe sind Treppen zum Himmel. Selbst von den Planeten werden sie verehrt. Sie erfüllen uns alle Wünsche. Nichts Grösseres gibt es als eine Kuh.»

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Peter Jaeggi

ist freischaffender Journalist BR, Fotograf BR, Buch- und Filmautor. Er arbeitet u.a. für Radio SRF2, SWR2 und ORF sowie für Printmedien in der Schweiz und in Deutschland.
--> www.peterjaeggi.ch
--> Peter Jaeggi auf Facebook
--> www.agentorange-vietnam.org

 

 

Sämtliche Bilder und Texte dürfen nicht ohne ausdrückliche Genemigung von Peter Jaeggi veröffentlicht werden!